Skip to main content

 

Artikel aus aqua viva 4/2023

Erfolgsfaktoren und Stolpersteine von Revitalisierungsprojekten

Erfolgreiche Revitalisierungsprojekte zeichnen sich insbesondere durch vier wichtige Faktoren aus: technische Funktionalität, ökologische Wirkung, Zufriedenheit der Projektbeteiligten sowie der Folgeunterhalt. Um diese zu erfüllen, sollten Gemeinden und andere Projektträger einige zentrale Erfolgsfaktoren und Stolpersteine kennen und beachten.

Von Olivier Hartmann


«Es ist von zentraler Bedeutung, die für ein erfolgreiches Revitalisierungsprojekt relevanten Aspekte respektive Stolpersteine zu kennen.»

Olivier Hartmann, Umweltingenieur

Die Bewertung über Erfolg oder Misserfolg eines Projekts ist stark von der Subjektivität der beurteilenden Person geprägt. Je nach Rolle, welche die jeweilige Person im Projekt einnimmt, werden andere Prioritäten gesetzt respektive andere Faktoren als relevant empfunden. Bauherrschaft, Fachplanende, Baufirmen, Grundeigentümer:innen, lokale Bevölkerung, Genehmigungs- und Subventionsbehörden haben unterschiedliche Vorstellungen über ein «erfolgreiches» Revitalisierungsprojekt. Entsprechend gilt es, in einem ersten Schritt zu klären, aus welchem Blickwinkel respektive welcher Interessenlage die Beurteilung erfolgt.

Ein erfolgreiches Projekt aus Sicht der Bauherrschaft

Der Artikel bezieht sich insbesondere auf die Rolle der Bauherrschaft respektive der Auftraggeberschaft. Häufig sind die Gemeinden (respektive gemeinderechtliche Körperschaften wie Wasserbauverbände oder Schwellenkorporationen) wasserbaupflichtig. In anderen Fällen obliegt die Wasserbaupflicht dem Kanton.

Aus dem Blickwinkel der wasserbaupflichtigen Gemeinden (oder Kantone) kristallisieren sich die vier nachfolgenden Anforderungen respektive zu erfüllenden Faktoren für ein erfolgreiches Revitalisierungsprojekt heraus:

  • Technische Funktionalität: «Das Bauwerk funktioniert einwandfrei.»
  • Ökologische Wirkung: «Um die volle ökologische Wirkung zu erzielen, gilt es, im Detail festzulegen, wo und was gebaut wird.»
  • Zufriedene Projektbeteiligte: «Die Grundeigentümer: innen respektive die lokale Bevölkerung stehen hinter dem Projekt und sind mit dem Endresultat zufrieden.»
  • Folgeunterhalt: «Der Werkhof hat genügend Ressourcen, Fachwissen und die geeigneten Maschinen, um das Revitalisierungsprojekt zu unterhalten.»

Was braucht es nun, um diese Anforderungen zu erfüllen? Welche Faktoren führen zum Erfolg und was sind mögliche Stolpersteine? Nachfolgend werden die Erfolgsfaktoren respektive Stolpersteine bei Revitalisierungsprojekten beleuchtet:

Technische Funktionalität des Projekts

Infolge dichter Besiedlung und vorhandener Infrastruktur bedarf es bei einer Vielzahl von Revitalisierungen technischer Schutzmassnahmen. Seitens der Bauherrschaft besteht ein grosses Interesse an einer hohen Qualität dieser Massnahmen, damit in den Folgejahren keine weiteren Kosten im baulichen Unterhalt entstehen. Folgende Aspekte sind für Planung und Bau relevant und entpuppen sich häufig als planerische respektive bautechnische Stolpersteine des Projekts:

  • Übergangsbereiche: Relevant für eine technisch einwandfreie Funktionalität des Projekts sind sauber verarbeitete Übergangsbereiche. Übergänge (z.B. Wasserlinie zu Ufer, Ufersicherung zu Erdböschung, Sohlensicherung zu Ufersicherung etc.) tendieren zu Instabilität und sind anfällig für Erosion. Erfolgreiche Planungs- und Bauarbeiten sind sich dessen bewusst und legen ein besonderes Augenmerk darauf.
  • Variable Sohlenlage: In Gewässern mit grossem Geschiebetrieb verhält sich die Sohle nach Verbreiterung sehr variabel. Wird die Variabilität der Sohlenhöhe bei Planung und Bau nicht ausreichend berücksichtigt, entstehen Stabilitätsprobleme durch Unterkolkung (zu geringe Fundationstiefe) respektive Hinterspülung (zu geringe Einbauhöhe) frisch erstellter Ufersicherungen.
  • Verlandung: Gewässer mit geringem Gefälle tendieren bei Sohlenverbreiterung zu starker Verlandung respektive Auflandung. Die wiederkehrende Entfernung von Auflandungen zur Wiederherstellung der notwendigen Abflusskapazität ist sehr kostspielig und ökologisch problematisch. Mit geeigneten Gerinnegeometrien und strömungslenkenden In-Stream-Strukturen kann die Verlandungsproblematik vermindert werden.
  • Biberaktivitäten: Bei der Projektplanung geht der Faktor Biber häufig vergessen. Revitalisierungsstrecken werden gerne von den Nagern besiedelt. Durch Stau- und Grabaktivitäten entstehen (mit geeigneten Planungs-/Baumassnahmen) vermeidbare Schäden an der Infrastruktur, welche zu kostspieligen Folgearbeiten führen.
Ein naturnaher Bach mit Gebäude und Pflanzen an Ufer, Perspektive aus dem Bachlauf.
Technische Funktionalität und ein hoher ökologischer Mehrwert zeichnen erfolgreiche Revitalisierungsprojekte aus. © Aqua Viva, Lou Goetzmann

Ökologische Wirkung

Um mit dem Projekt eine maximale ökologische Wirkung zu erzielen, gilt es, die ökologisch relevanten Aspekte vorgängig zu definieren und festzulegen. Der Detaillierungsgrad der ökologischen Massnahmen ist in den Planunterlagen präzise darzustellen, damit alle Beteiligten vom gleichen Endresultat ausgehen. Die ökologisch relevanten Details sind parzellenscharf darzustellen, zu genehmigen und baulich umzusetzen. Folgende Aspekte sind für die ökologisch erfolgreiche Inwertsetzung eines Projekts zu klären:

  • An welchen Uferbereichen kann Erosion zugelassen werden? Bis wo wird Ufererosion zugelassen (Interventionslinie)? Mit welchen Verbauungsmassnahmen werden Erosionsstellen bei Erreichen der Interventionslinie gesichert?
  • Wo werden welche Kleinstrukturen (Totholz, Schlüsselhölzer, Tümpel, Ast-/Schnittguthaufen, Reptilienburgen) in welcher Anzahl und Grösse angelegt?
  • Wie erfolgt die Aufteilung von Mäh- und Gehölzflächen im Böschungs-/Uferbereich? In welcher Dichte (einreihig, mehrreihig, Pflanzabstand) werden die Ufergehölze gepflanzt?
  • Welche Uferbereiche müssen zum Schutz vorhandener Infrastruktur mit welchen Verbauungsmassnahmen gesichert werden?  Von zentraler Wichtigkeit ist, dass die planerisch festgelegten Massnahmen auch im Kostenvoranschlag und in der Baumeisterausschreibung berücksichtigt werden. Neben der rechtlichen Sicherung im Rahmen der Plangenehmigung gilt es auch die finanziellen Aspekte zu berücksichtigen.

Fragen oder Details, welche im Rahmen der Planungsarbeiten ungeklärt bleiben, können zu folgenden Konflikten respektive Stolpersteinen bei der baulichen Ausführung des Projekts führen:

  • Verzögerungen der Bauarbeiten wegen Widerstand seitens Grundeigentümer:innen über unterschiedliche Ansichten respektive Interpretationen hinsichtlich der Böschungssicherung respektive dem Anlegen von Kleinstruktren.
  • Verminderung des ökologischen Werts des Projekts, weil Kleinstrukturen (z.B. Totholz im Gewässer oder Tümpel, Ast-/Schnittguthaufen, Reptilienburgen im Uferbereich oder Ufergehölzflächen) nicht klar aus den für die Genehmigung rechtsverbindlichen Planunterlagen ersichtlich sind und baulich nicht umgesetzt werden.

Zufriedene Projektbeteiligte während aller Projektphasen

«Betroffene zu Beteiligten machen», dieser Grundsatz ist bei Revitalisierungsprojekten eminent wichtig. Noch wichtiger ist es, dass die Bauherrschaft diesen Grundsatz nicht nur kennt, sondern auch proaktiv umsetzt:

  • Die betroffenen Grundeigentümer:innen (Betroffenen) können bei der Massnahmenplanung respektive Detailgestaltung auf ihren Parzellen mitreden.
  • Die Anliegen der Betroffenen werden respektiert, es findet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit statt.
  • Die Betroffenen werden durch die Bauherrschaft über die Durchführung von Vermessungsarbeiten oder ökologischen Felderhebungen vorgängig informiert.
  • Die Betroffenen werden in regelmässigen Abständen über den Projektfortschritt, den Zeitplan und den Zeitpunkt des Baustarts informiert. Die breite Bevölkerung informieren und nach Bauvollendung durch Freizeitnutzung am Projekt teilhaben lassen.

Findet diese proaktive Kommunikation seitens der Bauherrschaft nicht statt, können betroffene Grundeigentümer:innen respektive die breite Bevölkerung zu Stolpersteinen für das Projekt werden:

  • Allfällige Einsprachen können die Projektgenehmigung verzögern oder sogar verhindern.
  • Bürger:innenbewegungen können zu politischem Widerstand oder zur Ablehnung der Projektmassnahmen respektive des Projektkredits führen.
Lufaufnahme von einem Bagger am Bach, an dem gerade Bauarbeiten für eine Revitalisierung stattfinden.
Das Projekt endet nicht mit der Bauvollendung. Der Folgeunterhalt ist ein essentiell wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen Revitalisierungsprojekts. © Aqua Viva, Lou Goetzmann

Folgeunterhalt nach Projektabschluss

«Das Projekt ist nach dem Bau nicht abgeschlossen». Mit der Bauvollendung startet der wiederkehrende Folgeunterhalt. Der Aufwand des Folgeunterhalts ist bei revitalisierten Gewässern oftmals grösser und kostenintensiver als bei kanalisierten respektive hart verbauten Gewässern. Um ausufernde wiederkehrende Unterhaltskosten zu vermeiden, empfiehlt es sich, den leider oftmals «stiefmütterlich » behandelten Folgeunterhalt gebührend zu berücksichtigen:

  • Die Verantwortlichen des Folgeunterhalts sind in die Projektplanung und die Endgestaltung der Baumassnahmen zu involvieren.
  • Der Zielzustand und die durchzuführenden Unterhaltsarbeiten im Abfluss-, Böschungs- und Uferbereich sind in einem kurzen Unterhaltskonzept festzulegen.
  • Die Zugänglichkeit, den Bedarf an Zufahrten für das Aufladen respektive Transportieren von Schnittgut und den Bedarf an neuen Geräten respektive Maschinen für den Folgeunterhalt gilt es im Rahmen der Projektplanung zu klären.
  • Für einen kosteneffizienten Folgeunterhalt ist konsequent zwischen Wiesen-/Gehölzflächen zu unterscheiden. Lange Schlaglinien vereinfachen respektive erleichtern die Mahd der Wiesenflächen.
  • Kleinstrukturen sind in Randbereichen anzulegen, damit es zu keiner Unterbrechung der Schlaglinien kommt.
  • Neophyten sind beim Aufkommen von Einzelpflanzen konsequent zurückzudrängen, damit sich keine unkontrollierbaren Grossbestände entwickeln.

Eine Nichtberücksichtigung des Folgeunterhalts bei Planung und Bau kann nachfolgende negative Konsequenzen haben und für zukünftige Projekte zum Stolperstein werden:

  • Hohe wiederkehrende Folgekosten für aufwändige Unterhaltsarbeiten (viel Handarbeit wegen schlechter Zugänglichkeit oder sehr kurze Schlaglinien).
  • Verminderter ökologischer Wert des Projekts infolge nicht adäquater Massnahmen im Folgeunterhalt.
  • Missstimmung zwischen Werkhof und Bauverwaltung über nicht berücksichtigte Aspekte hinsichtlich der Betriebsphase des Revitalisierungsprojekts.

6-Punkte Checkliste für Ihr nächstes erfolgreiches Projekt

Es ist von zentraler Bedeutung, die für ein erfolgreiches Revitalisierungsprojekt relevanten Aspekte respektive Stolpersteine zu kennen. Aber wie lassen sich diese nun in konkreten Projekten berücksichtigen? Welche Aktivitäten helfen bei der erfolgreichen Projektumsetzung? Nachfolgend eine 6-Punkte Checkliste im Sinne einer Kurzzusammenfassung:

  • Die Rolle als Bauherrschaft respektive Auftraggeberschaft mit aktivem Projektmanagement leben.
  • Eine vertrauensvolle und transparente Kommunikation mit den Beteiligten vom Start bis zum Ende des Projekts pflegen.
  • Für eine grosse ökologische Wirkung des Projekts bei Gesprächen mit Grundeigentümer: innen, bei der Planung, der Plangenehmigung und beim Bau sorgen.
  • Mitdenken, eine konstruktiv-kritische Haltung einnehmen und das Projekt mit Lokalwissen über die Produkte von Planung und Bau optimieren.
  • Den Kostenvoranschlag und die Baumeisterausschreibung auf Vollständigkeit prüfen.
  • Den Folgeunterhalt sowohl bei der Projektplanung als auch der baulichen Endgestaltung berücksichtigen.

Autor

René Binkert, Kanton Aargau René Binkert, Kanton Aargau

Olivier Hartmann

ist Umweltingenieur und war nach dem Studium im praktischen Naturschutz tätig. Als Bereichsleiter/ Geschäftsleiter beim Fischereiinspektorat/ Renaturierungsfonds des Kantons Bern und zuletzt bei Pro Natura Bern hat er vielfältige Revitalisierungs-Erfahrung gesammelt.

Kontakt:
Olivier Hartmann
Praxis Natur Hartmann
Jurastrasse 23, 3063 Ittigen

Mehr Gewässernews

«Ja» zum Stromgesetz und den gemachten Zusagen in Sachen Naturschutz

Das Stromgesetz markiert einen bedeutenden Schritt in Richtung Energiewende und verstärktem Klimaschutz. Aqua Viva empfiehlt daher, am 9. Juni mit «Ja» für das Stromgesetz zu stimmen.

Vom Klassenzimmer ans Wasser

Im Rahmen des Angebots «Wasserstadt Zürich» führen die Naturschulen Zürich, PUSCH und Aqua Viva Wassererlebnistage am Wehrenbach durch. Schüler:innen aus zehn Zürcher Schulen lernen so den Bach aus verschiedenen Perspektiven kennen.

Auch kleine Gewässer brauchen Raum

Die Gemeinde Freienbach SZ möchte ihren Gewässern nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Raum zugestehen. Dagegen haben Aqua Viva, Pro Natura und WWF beim kantonalen Verwaltungsgericht Beschwerde eingereicht.

Einzigartig und vielfältig – die Fischbiodiversität der Schweiz

Wie steht es um die Vielfalt unserer heimischen Fischarten? Die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um Bachforellen, Äschen und Co haben Andrin Krähenbühl und David Frei von FIBER für uns zusammengefasst.