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Artikel aus aqua viva 2/2023

Wasserressourcenmanagement nach Schweizer Art: gestern – heute – morgen

Auch wenn in der Schweiz zahlreiche historische Dürren belegt sind, ist der systematische Umgang mit der «beschränkten Ressource Wasser» im Wesentlichen ein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Der Klimawandel sowie der zunehmende Siedlungs- und Nutzungsdruck haben dies nötig gemacht. Doch wie hat sich der Schweizer Weg des Wasserressourcenmanagements seit der Jahrtausendwende entwickelt und wohin könnte die Reise gehen?

Von Samuel Zahner & Olivier Chaix

Die Trockenereignisse in der Schweiz häufen sich: trockene Sommer 2015, 2018 und 2022 und 2023 ein Winter mit wenig Schnee. Dies ist kein zufälliges Bild, wie die hydrologischen Szenarien Hydro- CH2018 zeigen. Das Risiko für Wasserknappheit im Sommer steigt in den nächsten Jahrzehnten weiter an (siehe Abb. 1) und die dabei auftretenden hohen Wassertemperaturen, geringen Abflüsse und trockenfallenden Gewässerabschnitte beeinträchtigen die Gewässerökosysteme.

Abbildung 1. Risiko von Wasserknappheit im Sommer (Juni, Juli, August) für ein normales, ein trockenes und ein extrem trockenes Jahr. Wasserbilanz, berechnet aus Dargebot der Oberflächengewässer pro Einzugsgebiet minus Wasserbedarf in diesem Gebiet unter heutigen (1980-2010) und künftigen Bedingungen (2070-2099) ohne Klimaschutz (RCP 8.5). Braune Farbtöne bedeuten Wasserknappheit, grünblaue Farbtöne Wasserüberschuss. Quelle: NCCS 2021.

20 Jahre Wasserressourcenmanagement in der Schweiz

Mit dem Hitzesommer 2003 ist das Thema auch in der Schweiz angekommen. Im Jahr 2000 wurde die europäische Wasserpolitik durch das Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtline (WRRL, RL 2000/60/EG) grundlegend reformiert. Als zentrales Element der WRRL wurden flussgebietsbezogene Bewirtschaftungspläne und Massnahmenprogramme eingeführt. In der Schweiz fanden politische Vorstösse für eine nationale Wasserstrategie oder Massahmen zur Förderung eines integralen Einzugsgebietsmanagements (IEM) keine Mehrheit (siehe z.B. Motion 15.4006, Motion 14.4172 & Postulat 11.3914), sondern wurden häufig mit Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip abgelehnt. Auch in der Bundesverfassung ist festgehalten, dass die Kantone über die Wasservorkommen verfügen (Art. 76 Abs. 4 BV) und der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeiten für die haushälterische Nutzung sorgt (Art. 76 Abs. 1 BV). Letzteres bedeutet vor allem, dass der Bund zusammen mit Wasser-Agenda 21 (WA21) und der Forschung Grundlagen erarbeitet und den Kantonen zur Verfügung stellt. Einige noch immer aktuelle Grundlagen sind auf der Website von WA21 abrufbar (www.wa21.ch/themen/ wasserwirtschaft/unterlagen). Das integrale Wassermanagement berücksichtigt alle Interessen rund um die Gewässer, also auch Fragen zur Wasserqualität und zum Hochwasserschutz. Wenn es um den haushälterischen Umgang mit der beschränkten Ressource Wasser geht, ist auf Bundesebene häufig von Wasserressourcenmanagement die Rede. Und hier formte sich der Schweizer Weg durch das Postulat «Wasser und Landwirtschaft – zukünftige Herausforderungen » des ehemaligen Bauernverbandspräsidenten Hansjörg Walter (Postulat 10.3533), den Bericht des BAFU «Wasserversorgung 2025» (BAFU 2014) sowie die Strategie des Bundesrates zur Anpassung an den Klimawandel (BAFU 2012, BAFU 2014b & BAFU 2020). In der Bundesgesetzgebung besteht zwar keine Pflicht, dass der Bund oder die Kantone Wasserressourcen-Planungen erstellen müssen, doch hat der Bundesrat dies den Kantonen bereits 2012 empfohlen (BAFU 2012b). In den Jahren darauf hat das BAFU entsprechende Praxisgrundlagen in Form von drei Modulen erarbeiten lassen (siehe BAFU 2021):

  • Modul 1: Risikogebiete identifizieren
  • Modul 2: In diesen Risikogebieten die Wasserressourcen langfristig bewirtschaften, um Knappheitssituationen so weit wie möglich vorzubeugen
  • Modul 3: Ausnahmesituationen bewältigen

Abstimmung der verschiedenen Wassernutzungen im Einzugsgebiet

Der zunehmende Druck auf die Wasserressourcen zeigt sich in den betroffenen Gebieten auf sehr unterschiedliche Weise. Er hängt davon ab, ob es sich um landwirtschaftlich intensiv genutzte Gegenden, Karstgebiete, touristisch geprägte Bergregionen oder um urbane Räume im Mittelland handelt. Abbildung 1 illustriert die verschiedenen Wassernutzungen (blaue und rote Kästchen) und Schutzansprüche beziehungsweise ökologischen Funktionen (grüne Randbedingungen), welche dabei typischerweise betroffen sind. Die Verbindungslinien deuten an, zu welchen Konflikten es häufig kommt. Durch eine vorausschauende Planung und Bewirtschaftung der Wasserressourcen sollen solche Wassernutzungskonflikte verhindert und gelöst werden – sowohl zwischen Schutz- und Nutzungsansprüchen als auch zwischen verschiedenen Nutzungsansprüchen.

Konkret lassen sich mit einer regionalen Wasserressourcenplanung und Bewirtschaftung folgende Probleme angehen:

  • Öffentliche Wasserversorgung: ungenügender Grundwasserschutz durch nicht angepasste Nutzungen innerhalb von Schutzzonen; unzulängliche Vernetzung und nicht ausreichende regionale Koordination (fehlendes zweites Standbein); Wasserknappheit bei Verschmutzungen oder Trockenheit; Häufig spricht man dabei auch von einer regionalen Wasserversorgungsplanung.
  • Landwirtschaftliche Bewässerung: ungenügendes Wasserdargebot zur Deckung des künftigen Bedarfs; Konflikte zwischen Bewässerung und Gewässerschutz oder anderen Wassernutzungen; unzureichende Wasserverteilung bedingt durch fehlende Wasserspeicher und Leitungsnetze; unterschiedliche Bewilligungs- und Konzessionierungspraxis; Häufig ist dabei von einer regionalen Brauchwasserplanung die Rede.
  • Wasserkraft: nicht ausreichende Restwassermengen;
  • Abwasserentsorgung: ungenügende Verdünnung; Versickerung von Schmutzwasser ins Grundwasser;
  • Thermische Nutzung: steigende Wassertemperaturen;
  • Beschneiung: Mangel an lokal verfügbaren Wasserressourcen;
  • Natürliche Funktionen: Beitrag zum Erhalt der natürlichen Funktionen eines Gewässers und zum Erhalt der Biodiversität, indem einer Übernutzung vorgebeugt wird.
Abbildung 2. Häufige Schutz- und Nutzungskonflikte beim Wasserressourcenmanagement und der Einfluss der Landnutzung auf den Wasserhaushalt. Oberer Teil gemäss den Praxisgrundlagen Wasserressourcenmanagement, unterer Teil mit Massnahmen in der Landnutzung, welche zunehmend an Bedeutung gewinnen. Blaue Kästchen: konsumtive (verbrauchende) Wassernutzungen, Rote Kästchen: Nicht-konsumtive Wassernutzungen, Grüne Kästchen: Schutzansprüche als Randbedingungen, Linien: Häufige Schutz- und Nutzungskonflikte: Quelle: Chaix, Zahner 2023

Stand der Planungen in den Kantonen

Nach dem Trockensommer 2018 hat das BAFU die Kantone zum Stand der Umsetzung von solchen regionalen Planungen und Bewirtschaftungsformen befragt. Aufgrund des föderalistischen Ansatzes, den verschiedenen Begrifflichkeiten und der nicht ganz aktuellen Datenlage kann die folgende Aufzählung nur eine grobe Übersicht geben (EBP 2019).

  • Zehn Kantone gaben an, über eine kantonale Wasserstrategie zu verfügen und in sechs weiteren war eine solche in Erarbeitung oder Planung.
  • Neun Kantone gaben an, für die meisten ihrer Regionen bereits regionale Wasserbeziehungsweise Trinkwasserversorgungspläne erarbeitet zu haben und in sieben weiteren waren solche in ausgewählten Regionen bereits vorhanden oder in Erarbeitung.
  • Zwei Kantone gaben an, über eine regionale Brauchwasserplanung oder eine sonstige Planung der Wasserressourcen für die landwirtschaftliche Bewässerung zu verfügen und in acht war eine solche in Erarbeitung.

Bessere Daten zur Wassernutzung sind nötig

Eine weitere Folge des lange Zeit geringen Leidensdruck und des föderalistischen Ansatzes ist die ungenügende Datengrundlage zum Wasserverbrauch in der Schweiz. Immerhin besteht bei der öffentlichen Wasserversorgung dank der Wasserstatistik des SVGW eine gute Grundlage. So stellt die öffentliche Wasserversorgung pro Jahr rund 950 Millionen Kubikmeter in Trinkwasserqualität zur Verfügung (SVGW 2019). Wie viel Wasser durch private Wasserversorgungen entnommen und für Brauchwasserzwecke (z.B. Industrie, Gewerbe inkl. thermische Nutzung, Bewässerung) verwendet wird, wurde letztmals im Jahr 2006 auf 1120 Millionen Kubikmeter geschätzt. Dabei hatte der Bundesrat bereits 2012 den Handlungsbedarf zur Erfassung und Harmonisierung der verschiedenen Wassernutzungsdaten erkannt. Er betonte, dass im Sinne eines Monitorings mit Fokus auf die wichtigsten Nutzungen insbesondere die privaten Wasserversorgungen und der Einsatz der Bewässerung systematisch erfasst werden sollen (BAFU 2012b). Neun Jahre später kam ein weiterer Bericht des Bundesrates (Der Bundesrat 2021) zum ernüchternden Ergebnis, dass weder der Bund noch die Kantone über die nötigen Datengrundlagen verfügen, um den heutigen und zukünftigen Wasserbedarf abschätzen zu können. Der Bundesrat hat darum einmal mehr vorgeschlagen, bessere schweizweite Datengrundlagen zur Wassernutzung und dem zukünftigen Wasserbedarf zu schaffen.

Resilienz der Gewässer erhöhen

Weiter weist der Bundesrat im Postulatsbericht auf die zentrale Bedeutung resilienter Gewässer hin (ebd.). Ökologisch intakte Gewässer können den Klimawandel besser verkraften (z.B. indem sich Wasserlebewesen bei vernetzten Gewässern in kühlere Abschnitte zurückziehen können) und die vielfältigen Ansprüche der Gesellschaft erfüllen. Es gilt daher, Wasserressourcen vor übermässigen Entnahmen sowie vor Verunreinigungen durch Schadstoffe und Düngemittel zu schützen. Ein konsequenter Vollzug des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) und den damit verbundenen Massnahmen (Vernetzung und Revitalisierung der Gewässer, ökologische Sanierung Wasserkraft, Festlegung und Extensivierung Gewässerraum sowie gewässergerecht gestalteter Uferbereich und Reduktion der chemischen Gewässerbelastung) sind darum zentral für das Wasserressourcenmanagement.

Feuchtgebiete verbessern die natürliche Wasserspeicherung im Einzugsgebiet und schaffen wertvolle Lebensräume für Mensch und Natur. Hier: Étang de la Gruère (JU). © bill17 - stock.adobe.com

Wiederherstellung der natürlichen Wasserspeicherfähigkeit

Schliesslich erwähnt der Postulatsbericht die wichtige Bedeutung der natürlichen Wasserspeicherfähigkeit im Einzugsgebiet. Im 20. und 21. Jahrhundert wurden die Gewässer mit enormem finanziellem Aufwand begradigt, Feuchtgebiete trockengelegt und rund 1 300 000 Kilometer Kanalisationen gebaut, um das Wasser schnellstmöglich von uns weg- und abzuleiten. Darüber hinaus hat die Siedlungsfläche allein zwischen 1985 und 2009 um mehr als 2000 Hektaren beziehungsweise um rund 25 Prozent zugenommen (BFS 2015). Es wird geschätzt, dass sich durch diese Versiegelung die Grundwasserneubildungsrate um circa 1,5 Millionen Kubikmeter pro Jahr reduzierte. Diese Veränderungen des hydrologischen Kreislaufs durch die Landnutzung sind mit Blick auf die klimatischen Herausforderungen problematisch. Nötig ist eine Trendumkehr, um die natürliche Wasserspeicherfähigkeit der Einzugsgebiete wiederherzustellen und zu fördern. Verschiedenste Massnahmen können dazu beitragen:

  • Gewässer und Quellen revitalisieren
  • Ehemalige Feuchtgebiete wiedervernässen
  • Drainagen entfernen, nicht sanieren oder temporär einstauen
  • Wasserrückhaltebecken und Weiher bauen
  • Fliessgeschwindigkeit des Regenwassers reduzieren und die Versickerung von Regenwasser im Boden verbessern (Regenwassermanagement)
  • Schwammstadt-Massnahmen umsetzen wie die Schaffung von Grünflächen, Nutzung von Regenwasser zur Bewässerung von Grünflächen und Dachbegrünungen (siehe hierzu www.vsa.ch/ schwammstadt)
  • Grundwasser anreichern und konsequent schützen
  • Bodenwasserspeicherfähigkeit erhöhen durch eine bessere Bodenstruktur

Solche Massnahmen sind teils schon länger bekannt und werden auch verschiedentlich umgesetzt. Doch fehlt es bislang weitgehend an einer ganzheitlichen Betrachtung des hydrologischen Kreislaufes im Einzugsgebiet, welcher sowohl die Einflussfaktoren als auch mögliche Massnahmen in der Landnutzung für den Wasserhaushalt berücksichtigt.

Fazit

Seit rund 20 Jahren beschäftigt sich die Schweiz systematisch mit dem Wasserressourcenmanagement. Spätestens seit dem Abschluss des NFP 61 Nachhaltige Wassernutzung vor rund zehn Jahren, ist auch der Handlungsbedarf bekannt. Durch den stark föderalistisch geprägten Ansatz hat sich in der Schweiz ein sehr heterogenes und an die verschiedenen Regionen angepasstes Bild entwickelt. Die Trockenereignisse der letzten Jahre haben dazu beigetragen, dass viele Kantone heute eine «Wasserressourcen-Planung» haben oder eine solche angehen. Neben den Wasserentnahmen durch die verschiedenen Sektoren spielt die Landnutzung im Einzugsgebiet eine entscheidende Rolle für den Wasserhaushalt. Dazu sind verschiedene Ansätze bekannt – diese werden aber auf Stufe des Einzugsgebiets noch kaum ganzheitlich angegangen. Aufgrund des weiter steigenden Leidensdruck wird jedoch auch die Landnutzung im Einzugsgebiet in Zukunft immer mehr unter dem Gesichtspunkt des Wasserhaushalts betrachtet werden müssen.

Samuel Zahner

hat Geografie studiert und war anschliessend vier Jahre beim Bundesamt für Umwelt tätig. Seit 2018 arbeitet er beim Beratungsunternehmen Ecoplan und leitet dort das Geschäftsfeld Gewässer, Biodiversität und Klimaanpassung.
 
Kontakt:
Ecoplan AG
Monbijoustrasse 14, 3011 Bern
031 356 61 90

Olivier Chaix

ist ETH-Ingenieur und führte Wasserbau- und Siedlungswasser-wirtschaftsprojekte in Afrika und der Schweiz. Nach 10 Jahren in einer Generaldirektion trägt er heute für Bund, Kantone und Regionen konsensfördernd zur Lösung wasserwirtschaftlicher Probleme bei.
 
Kontakt:
INTEGRALIA AG
Tscharnerstrasse 11, 3011 Bern, und
Route du Crêt-de-Choully 44, 1242 Satigny 079 370 45 49

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